Hamburg, 04.08.2012

 

Aus dem Büroalltag:

Kann ja mal vorkommen, dass man im Rahmen eines cholerischen Anfalls z.B. die Maus zerdeppert. Früher, als alles noch besser früher war, bin ich dann zum IT-Büro rübergeschlappt, einem dunklen, mit Computerschrott, Kartons und Unterlagen zugemüllten Raum, in dem hilfsbereite Soziopathen (die komischerweise alle Michael hießen)  von den fragwürdigen Dingen, die sie taten, abließen, sobald man den Raum betrat. „Bräuchte ‚ne neue Maus.“ – „Hmm… Probier mal die hier.“ – und schon konnte man wieder produktiv Lebenszeit verschwenden.

Das war früher. Das Leben ist ein fortwährender Effizienzsteigerungsprozess, und so sitzen da nicht mehr fünf Michaels in einem dunklen, sondern ein Mike in einem hellen Raum. „Bräuchte ‚ne neue Maus.“ – „Mach ‚nen Call auf.“ Da liegt eine Maus rum! Egal, ich rufe im Intranet die Seite des IT-Service auf. Es präsentiert sich: Das optische Pendant zur Vodafone-Hotline. Auf der obersten Ebene nur vier Menüpunkte, optisch sogar hervorgehoben. Auf jeder weiteren Ebene dann ein bis zwei Dutzend Unterpunkte. „Klicken sie hier, wenn die Datei, die sie nicht verschieben konnten, eine .avi-Datei mit einer Größe zwischen 2mb und 5mb ist.“ Man klickert sich dann halt so durch die Menüs, muss zwischendurch noch seinen „Computernamen“ angeben (ich hab da immer „Horst“ eingetragen, wurde anstandslos akzeptiert), und mit etwas Geschick und viel Glück erreicht man sein Ziel, z.B. die Bestellung einer Maus, die dann nur noch vom Vorgesetzten genehmigt werden muss. Nach erfolgter Genehmigung trägt dann übrigens o.g. Mike die Maus von seinem in mein Büro. Es empfiehlt sich entsprechend, Mäuse auf Vorrat zu bestellen, da beim akuten Abkacken des elektronischen Nagers zum einen der Bestellvorgang erschwert wird („Mach ‚nen Call auf.“ – anspruchsvoll, so ohne Maus) und zum anderen der Prozess halt ein paar Tage dauert.

Nun ist man ja technikaffin und war auch mal Vodafone-Kunde (und mithin erfahren im Umgang mit der „Geben-sie-uns-ihr-Geld-und-lassen-sie-uns-ansonsten-tunlichst-in-Ruhe-Mentalität) und kriegt die Maus letztendlich bestellt. Es gibt aber Kollegen, die diesem effizienten und anwenderfreundlichen Bestellprozess eher hilflos gegenüberstehen. Als serviceorientierte Abteilung greift IT hier natürlich ein, um auch älteren und/oder weiblichen Kollegen neue Mäuse zu bescheren. Und so traf vor einigen Tagen eine Hausmail ein, die sinngemäß (habe sie nicht hier) verlautbarte:

„In der Vergangenheit kam es zu Problemen im Umgang mit dem Bestellprozedere. Bitte beachten sie, dass IT für Bestellungen ein Video-Tutorial zur Verfügung gestellt hat. Dieses finden sie unter…“

 

Das nenne ich mal Innovation. Ich hoffe, Amazon stellt auch bald ein Video-Tutorial bereit, ich würde so gern was bei denen bestellen…

Hamburg, 03.08.2012

Auf dem Weg zur Arbeit. Mir ist ohnehin nicht klar, warum Hausfrauen im Gegensatz zu Rentnern vor 09:00 auf die Straße dürfen. Wenn man dann noch im Supermarkt neben einer Käsefetischamateurin steht, die sich das gesamte Sortiment erläutern lässt, während eine Schlange genervter Angestellter hinter ihr nervös mit den Füßen scharrt - mit besserer Bewaffnung hätte ich den ersten Amoklauf des heutigen Tages schon hinter mir.

(Na hoffentlich liest die Stasi der nette Herr Friedrich nicht mit.)

Hamburg, 31.07.2012

 

Gnarf… Also mitunter geht mir Facebook schon leicht auf den Sack. Die Seite, nicht die Firma, letztere wird eh nie einen Beliebtheitsaward gewinnen. Eigentlich auch nicht die Seite selbst, sondern… die Leute. Einige meiner Freunde. Die manchmal schneller klicken, als die Synapsen schalten. Als Einzelfall fällt das gar nicht auf, als Massenphänomen GEHT ES MIR STARK AUF DEN SACK.

Los ging das mit Farmville & Co. Ich muss direkt zugeben, auch ich habe mich da schuldig gemacht. Das Prinzip kennt jeder: Man baut Gurken an, guckt ihnen beim Wachsen zu, während der eigene IQ langsam runtertickt, erntet irgendwann die Gurken, baut neue Gurken an… und erreicht irgendwann Level 2, auf dem man Tomaten anbauen kann. Will man nun aber seinen Pixelhof vergrößern oder den Trecker des Todes kaufen oder die superseltenen orangenen Supergurken anbauen, braucht man „Nachbarn“. Und das heißt: Via automatisierter FB-Mails seine FB-Kontakte so lange nerven, quälen und foltern, bis entweder auch sie Gurkenanbauzombies geworden sind – oder Du keine FB-Kontakte mehr hast. Für Menschen ohne Gurkenfetisch ist das nämlich schlicht Spam. Na ja, ich bezahle heute noch dafür, das damals mitgemacht zu haben, denn auch heute noch bekomme ich, obwohl ich schon etwa 1000 dieser Hirnmassenverödungsspielchen blockiere, immer noch so 5-10 Anfragen am Tag, für Leprakolonieville, Müllverbrennungsanlagen World und wie die wöchentlich neu aufploppenden Entfreundungskatalysatoren halt alle so heißen. Das ist ein erträgliches Maß und halt die gerechte Strafe für… siehe oben.

Dann kamen die Horoskope. Die Horoskopanwendung liest das Geburtsdatum aus, errechnet das Sternzeichen, bastelt mit Zufallszahlen und einem Textbausteinkasten ein Standardhoroskop zusammen und zeigt das dem Benutzer an – und ALLEN SEINEN FREUNDEN. Wenn also meine FB-Freundin X, Sternzeichen Gewürzgurke, morgens nach der ersten Kaffeeinjektion ihr Dreckshoroskop aufruft, ploppt das bei mir auch auf – für’s Sternzeichen Gewürzgurke. Selbst der letzte Funken Entertainment, den ein Horoskop bietet – Thema für den Smalltalk mit den allerlangweiligsten Kolleginnen in der Büroküche – hier nicht. Oh, was ist das?!! FB-Freundin Y hat offenbar den Morgensex hinter sich gebracht und ruft ihr Horoskop auf – Sternzeichen Blutegel, auch nicht meins. Plopp! Noch eins! Bäm! Noch eins! Ratter! Gleich zwei! Zu Spitzenzeiten hat man morgens verschlafen, loggt sich auf FB ein und wird erst mal mit einem Potpourri aus 15-20 Horrorskopen erschlagen, allesamt erzeugt von WEIBLICHEN Kontakten übrigens. Irgendwann wurde die Anwendung auf die Ignoreliste gepackt und ein paar hartnäckige Horoskopville-Nervensägen gleich mitentsorgt. Man kann sich ja immer noch im RL treffen, und reden oder so. Über Horoskope zum Beispiel. Ich kenn mich da aus.

Next: Youtube-Videos. Im Allgemeinen keine Plage, oft sogar Inspiration, schon viele schicke Sachen gefunden so. Wenn jemand 5x am Tag bis zum Erbrechen abgenudelte Chartbreaker von vor 10 Jahren postet, beginnt mir zwar das Augenlid zu zucken, aber das passt schon, geht mich nix an, jeder hat das Recht, keinen Geschmack zu haben. Nehme ich mir ja auch raus. ;-) Ganz vereinzelt aber gibt es im Grunde bemitleidenswerte Gestalten, die sich auf Youtube Link für Link durch die vermeintliche Blütezeit ihres Lebens klicken, mutmaßlich bei jedem Track melancholisch vor sich hinseufzen, Erinnerungen abrufen – und jeden verdammten Scheißlink bei FB posten. Und nein, da ist nix mit „stört doch nicht, kann man doch ignorieren“. Das ist wie mit Werbeflyern für Pizzataxis. Einen kann man ignorieren, ab und zu ist mal ein interessanter dabei, aber wenn mir jemand jeden Morgen und jeden Abend zwei Arme voll mit Flypern in den Briefkasten stopft, dann möge er bitte nicht erwarten, dass ich melancholisch mitseufze. Kickbanignore.

Mini und Sascha dürfen natürlich immer posten, die sind geschmackssicher. ^^

Die nächste Modeerscheinung: Sinnsprüche. Die betten sich prima in einen historischen Kontext ein, schon in den 1970ern gab es dumme Sprüche auf Autoaufklebern („Peace, Love and Crappyness“), später hingen sie dann an Rathausbürotüren („Wir sind hier am schlafen und nicht auf der Flucht“) und wurden auf Low-Quality-Tshirts gedruckt („Ich bin 30, können sie mal kurz meinen Enkel halten?“), die dann auf Kirmessen und sonstigen Vergnügungen des Landvolks verkauft wurden. Und jetzt also Facebook. Schneller Check: Ein gemaltes Irgendwas (gelb), das unfreundlich guckt, darunter: „ernsthaft, das ist mein fröhliches gesicht“. Dann: „Herzlich willkommen in der Realität. Nach einer kurzen Pause geht es gnadenlos weiter mit der Enttäuschung.“ Und noch, sogar ohne auch nur einen Versuch, lustig zu sein: „Geschwister sind nie alleine, sie tragen immer den anderen im Herzen.“ Da hätten sie sich in den 1970ern schon die Kiefer beim Gähnen ausgerenkt, die Beamten hätten verstört angefangen zu arbeiten, und die Tshirts wären zu Aufhängstricken umfunktioniert worden. Wer da schmunzelt, dem reißt bei Fips Asmussen das Zwerchfell. Lasst das!

Das schlimmste zum Schluss: Imperative an die eigenen Freunde, Kettenbriefe, untaugliche Versuche der Schaffung eines falsch verstandenen „Wir“-Gefühls. „Drücke auf „teilen“, wenn auch du süße Kätzchen magst!“, „Alle mal die Seite unserer Orffsche-Instrumente-AG liken!“ und seit ein paar Monaten aus dem agrarischen Raum auch gerne „Du bist ein Knetterheider, wenn du… als Kind Omma Lepra vor ihren Zigarettenladen gekackt hast“. Sind übrigens immer nur süße Kätzchen, also Zeug, wo eh Konsens herrscht, wo man sich sicher sein kann, einen wahren Begeisterungssturm zu ernten. Auf „drücke auf „teilen“, wenn du gerne Robbenbabys mit einem Sack voller Hundewelpen erschlägst“ warte ich bisher vergeblich.

So, genug ausgekotzt. Das mag jetzt so wirken, als würde ich Menschen generell nicht sonderlich mögen. Das ist natürlich… nicht komplett korrekt. Und ich scrolle den ganzen Müll ja auch brav und bis auf diese eine Ausnahme klaglos weg, um zwischen all dem beliebigen Bullshit das zu suchen, was Facebook eigentlich ausmachen könnte – Neuigkeiten aus dem Leben anderer, interessante Gedanken und Fundstücke, Spannendes und Lustiges (Rainald-Grebe-Lustiges, nicht Fips-Asmussen-Lustiges). Und manchmal, während mein Zeigefinger vom vielen Mausradscrollen schon ganz taub ist, wünsche ich mir, ein paar mehr Menschen würden hin und wieder mal über die wichtigste aller Internetregeln nachdenken –

WENN DU NICHTS ZU SAGEN HAST,

Hamburg, 28.07.2012

 

Unter Angehörigen von Subkulturen grassiert mitunter die Schmährede vom „Ausverkauf“. Ausverkauf, das ist, wenn eine die Subkultur bedienende Band nicht mehr „true“ ist, sondern dem Kommerz frönt und insgeheim hofft, als Bravo-Starschnitt abgelichtet zu werden und bei Baumarkteröffnungen aufzutreten. „True“ ist eine Band nur dann, wenn sie auch nachts im Bett die vorgeschriebene Subkultur-Kleidung trägt, sich jeglichen musikalischen Experimenten strikt verweigert und von dem lebt, was andere wegwerfen. Tonträger dürfen zwar in großen Abständen herausgebracht werden, werden aber sofort kritisch darauf untersucht, ob sie auch „true“ sind, und anschließend aus dem Netz gesaugt. Sollte es eine Band wagen, mit anderen Musikstilen rumzuexperimentieren, ein nicht genehmes Instrument zu verwenden oder über etwas anderes als das finstere Leben im Untergrund zu singen, ist sie mit sofortiger Wirkung Mainstream, verrät ihre Ideale  und gehört im MediaMarkt unter „Rock/Pop“ einsortiert. Das gilt für alle Subkulturen, ob Hardcore, Hip Hop, Punk, beide Billys, Nazigegröhle, alle Spielarten des Metal außer Slayer und, um den Gesang bereinigt, auch für alle Spielarten nichtkommerzieller elektronischer Musik – und auch für Gothic. Wer ein buntes Halstuch anlegt, ein Video dreht, das auf MTV läuft, einen anderen Duft auflegt als Patchouli, vierstellige Verkaufszahlen hat oder über etwas anderes als das Wesen des Todes singt, ist Mainstream, hat sich verkauft und die Szene verraten. Oder heißt Depeche Mode.

Man kann’s aber auch übertreiben mit dem Ranschmeißen an den Euro, wie das aktuelle Cover eines szenigen Underground-Fanzines zeigt.

Hamburg, 24.07.2012

Taifun "Vincente" erreicht Hamburg wohl erst am Freitagabend. Also schnell den Club-Mate-Eimer eingepackt und noch mal Hamburgs Ballermann besucht, bevor die Monsun-Zeit anbricht.