Hamburg, 31.07.2012
Gnarf… Also mitunter geht mir Facebook schon leicht auf den Sack. Die Seite, nicht die Firma, letztere wird eh nie einen Beliebtheitsaward gewinnen. Eigentlich auch nicht die Seite selbst, sondern… die Leute. Einige meiner Freunde. Die manchmal schneller klicken, als die Synapsen schalten. Als Einzelfall fällt das gar nicht auf, als Massenphänomen GEHT ES MIR STARK AUF DEN SACK.
Los ging das mit Farmville & Co. Ich muss direkt zugeben, auch ich habe mich da schuldig gemacht. Das Prinzip kennt jeder: Man baut Gurken an, guckt ihnen beim Wachsen zu, während der eigene IQ langsam runtertickt, erntet irgendwann die Gurken, baut neue Gurken an… und erreicht irgendwann Level 2, auf dem man Tomaten anbauen kann. Will man nun aber seinen Pixelhof vergrößern oder den Trecker des Todes kaufen oder die superseltenen orangenen Supergurken anbauen, braucht man „Nachbarn“. Und das heißt: Via automatisierter FB-Mails seine FB-Kontakte so lange nerven, quälen und foltern, bis entweder auch sie Gurkenanbauzombies geworden sind – oder Du keine FB-Kontakte mehr hast. Für Menschen ohne Gurkenfetisch ist das nämlich schlicht Spam. Na ja, ich bezahle heute noch dafür, das damals mitgemacht zu haben, denn auch heute noch bekomme ich, obwohl ich schon etwa 1000 dieser Hirnmassenverödungsspielchen blockiere, immer noch so 5-10 Anfragen am Tag, für Leprakolonieville, Müllverbrennungsanlagen World und wie die wöchentlich neu aufploppenden Entfreundungskatalysatoren halt alle so heißen. Das ist ein erträgliches Maß und halt die gerechte Strafe für… siehe oben.
Dann kamen die Horoskope. Die Horoskopanwendung liest das Geburtsdatum aus, errechnet das Sternzeichen, bastelt mit Zufallszahlen und einem Textbausteinkasten ein Standardhoroskop zusammen und zeigt das dem Benutzer an – und ALLEN SEINEN FREUNDEN. Wenn also meine FB-Freundin X, Sternzeichen Gewürzgurke, morgens nach der ersten Kaffeeinjektion ihr Dreckshoroskop aufruft, ploppt das bei mir auch auf – für’s Sternzeichen Gewürzgurke. Selbst der letzte Funken Entertainment, den ein Horoskop bietet – Thema für den Smalltalk mit den allerlangweiligsten Kolleginnen in der Büroküche – hier nicht. Oh, was ist das?!! FB-Freundin Y hat offenbar den Morgensex hinter sich gebracht und ruft ihr Horoskop auf – Sternzeichen Blutegel, auch nicht meins. Plopp! Noch eins! Bäm! Noch eins! Ratter! Gleich zwei! Zu Spitzenzeiten hat man morgens verschlafen, loggt sich auf FB ein und wird erst mal mit einem Potpourri aus 15-20 Horrorskopen erschlagen, allesamt erzeugt von WEIBLICHEN Kontakten übrigens. Irgendwann wurde die Anwendung auf die Ignoreliste gepackt und ein paar hartnäckige Horoskopville-Nervensägen gleich mitentsorgt. Man kann sich ja immer noch im RL treffen, und reden oder so. Über Horoskope zum Beispiel. Ich kenn mich da aus.
Next: Youtube-Videos. Im Allgemeinen keine Plage, oft sogar Inspiration, schon viele schicke Sachen gefunden so. Wenn jemand 5x am Tag bis zum Erbrechen abgenudelte Chartbreaker von vor 10 Jahren postet, beginnt mir zwar das Augenlid zu zucken, aber das passt schon, geht mich nix an, jeder hat das Recht, keinen Geschmack zu haben. Nehme ich mir ja auch raus. ;-) Ganz vereinzelt aber gibt es im Grunde bemitleidenswerte Gestalten, die sich auf Youtube Link für Link durch die vermeintliche Blütezeit ihres Lebens klicken, mutmaßlich bei jedem Track melancholisch vor sich hinseufzen, Erinnerungen abrufen – und jeden verdammten Scheißlink bei FB posten. Und nein, da ist nix mit „stört doch nicht, kann man doch ignorieren“. Das ist wie mit Werbeflyern für Pizzataxis. Einen kann man ignorieren, ab und zu ist mal ein interessanter dabei, aber wenn mir jemand jeden Morgen und jeden Abend zwei Arme voll mit Flypern in den Briefkasten stopft, dann möge er bitte nicht erwarten, dass ich melancholisch mitseufze. Kickbanignore.
Mini und Sascha dürfen natürlich immer posten, die sind geschmackssicher. ^^
Die nächste Modeerscheinung: Sinnsprüche. Die betten sich prima in einen historischen Kontext ein, schon in den 1970ern gab es dumme Sprüche auf Autoaufklebern („Peace, Love and Crappyness“), später hingen sie dann an Rathausbürotüren („Wir sind hier am schlafen und nicht auf der Flucht“) und wurden auf Low-Quality-Tshirts gedruckt („Ich bin 30, können sie mal kurz meinen Enkel halten?“), die dann auf Kirmessen und sonstigen Vergnügungen des Landvolks verkauft wurden. Und jetzt also Facebook. Schneller Check: Ein gemaltes Irgendwas (gelb), das unfreundlich guckt, darunter: „ernsthaft, das ist mein fröhliches gesicht“. Dann: „Herzlich willkommen in der Realität. Nach einer kurzen Pause geht es gnadenlos weiter mit der Enttäuschung.“ Und noch, sogar ohne auch nur einen Versuch, lustig zu sein: „Geschwister sind nie alleine, sie tragen immer den anderen im Herzen.“ Da hätten sie sich in den 1970ern schon die Kiefer beim Gähnen ausgerenkt, die Beamten hätten verstört angefangen zu arbeiten, und die Tshirts wären zu Aufhängstricken umfunktioniert worden. Wer da schmunzelt, dem reißt bei Fips Asmussen das Zwerchfell. Lasst das!
Das schlimmste zum Schluss: Imperative an die eigenen Freunde, Kettenbriefe, untaugliche Versuche der Schaffung eines falsch verstandenen „Wir“-Gefühls. „Drücke auf „teilen“, wenn auch du süße Kätzchen magst!“, „Alle mal die Seite unserer Orffsche-Instrumente-AG liken!“ und seit ein paar Monaten aus dem agrarischen Raum auch gerne „Du bist ein Knetterheider, wenn du… als Kind Omma Lepra vor ihren Zigarettenladen gekackt hast“. Sind übrigens immer nur süße Kätzchen, also Zeug, wo eh Konsens herrscht, wo man sich sicher sein kann, einen wahren Begeisterungssturm zu ernten. Auf „drücke auf „teilen“, wenn du gerne Robbenbabys mit einem Sack voller Hundewelpen erschlägst“ warte ich bisher vergeblich.
So, genug ausgekotzt. Das mag jetzt so wirken, als würde ich Menschen generell nicht sonderlich mögen. Das ist natürlich… nicht komplett korrekt. Und ich scrolle den ganzen Müll ja auch brav und bis auf diese eine Ausnahme klaglos weg, um zwischen all dem beliebigen Bullshit das zu suchen, was Facebook eigentlich ausmachen könnte – Neuigkeiten aus dem Leben anderer, interessante Gedanken und Fundstücke, Spannendes und Lustiges (Rainald-Grebe-Lustiges, nicht Fips-Asmussen-Lustiges). Und manchmal, während mein Zeigefinger vom vielen Mausradscrollen schon ganz taub ist, wünsche ich mir, ein paar mehr Menschen würden hin und wieder mal über die wichtigste aller Internetregeln nachdenken –
WENN DU NICHTS ZU SAGEN HAST,